Nachricht | Arbeit / Gewerkschaften - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Globalisierung - Europa - Koalition ohne Fortschritt EU-Lieferkettengesetz scheitert an Bundesregierung

Hannah Pilgrim über die Kehrtwende der Ampel und die Auswirkungen des Scheiterns des Gesetzentwurfs

Information

Hannah Pilgrim, PowerShift
«Offenbar interessieren uns Menschenrechte nur so lange, wie unsere Wirtschaft davon profitieren kann.»
Hannah Pilgrim, PowerShift Foto: Sophie Meyer

Am 28. Februar wurde das EU-Lieferkettengesetz im EU-Parlament abgelehnt. Nachdem die EU-Kommission 2022 den entsprechenden Richtlinienentwurf vorlegt hatte, sprachen noch Mitte Dezember 2023 viele, auch kritische Stimmen von einem «Meilenstein». Die Ablehnung der Richtlinie geht nicht zuletzt auf das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung zurück, die dem ausgehandelten Kompromiss nicht zustimmen wollte. Damit werden jahrelange Verhandlungen, die in einem – ohnehin bereits abgeschwächten – Kompromiss mündeten, torpediert. Andreas Bohne von der Rosa-Luxemburg-Stiftung sprach mit Hannah Pilgrim, Koordinatorin des AK Rohstoffe und Mitarbeiterin der Nichtregierungsorganisation PowerShift, über den Gesetzentwurf und dessen Scheitern.
 

Andreas Bohne: Das vorliegende EU-Lieferkettengesetz ist ein Kompromiss. Was sind die Kerninhalte, worin liegen die Unterschiede zum deutschen Lieferkettengesetz, und wie bewertest du die Inhalte?

Hannah Pilgrim: Nach Verabschiedung und Inkrafttreten des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes hat die EU seit mehreren Jahren ebenfalls über solch eine Richtlinie diskutiert. Und ja, du hast vollkommen recht, politische Prozesse sind immer Kompromisse – vor allem auf europäischer Ebene. Dort spielen drei Institutionen eine bedeutende Rolle: die Kommission, das Parlament (das von uns gewählt wird, so auch wieder in diesem Juni) und der Rat, also die Mitgliedstaaten. Das Vorschlagsrecht besitzt die Kommission, die im Februar 2022 durch den liberalen Justizkommissar, Didier Reynders, einen recht progressiven Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz einbrachte. Die drei Institutionen hatten sich nach langen Debatten dann Ende des letzten Jahres auf die Inhalte der Richtlinie geeinigt. Dabei handelte es sich um einen Kompromiss, der natürlich auch Schwachstellen aufwies, aber dennoch enorm wichtig gewesen wäre, um die Einhaltung von Menschen- und Umweltrechten in grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zu achten.

Was waren die Kerninhalte der Richtlinie?

Orientiert an den UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte lag das Ziel darin, den Schutz von Menschen und Umwelt entlang globalisierter Lieferketten sicherzustellen, indem europäische Unternehmen in die Verantwortung genommen werden. Verantwortung bedeutet Antworten zu haben auf die wichtigen Fragen: Wie stellt ihr sicher, dass eure Zulieferer den Arbeitsschutz gewährleisten? Wo liegen die höchsten menschenrechtlichen Risiken entlang eurer Lieferkette? Was tut ihr, um die Arbeitenden wie die Umwelt zu schützen und diese Risiken zu minimieren? Wie garantiert ihr, dass Betroffene von Menschenrechtsverletzungen effektiv ihre Beschwerden einbringen können?

Außerdem war das Ziel, durch diese Richtlinie eine Vereinheitlichung im europäischen Raum zu schaffen, sodass Unternehmen nicht mit verschiedenen, unterschiedlich weit gehenden Gesetzen konfrontiert sind, was für sie einen höheren Arbeitsaufwand bedeuten würde. Also kurzum: Es ging ausdrücklich auch um die Vermeidung eines gesetzlichen Flickenteppichs in der EU.

Wie bewertest du die Inhalte der jetzt abgelehnten Richtlinie im Vergleich zum deutschen Lieferkettengesetz, auch mit Blick auf den Rohstoffsektor?

Positiv ist zu bewerten, dass ein risikobasierter Ansatz angestrebt wurde, sodass unternehmerische Sorgfalt nicht nur für etablierte Geschäftsbeziehungen bzw. die direkten Zulieferer und den eigenen Geschäftsbereich, sondern grundsätzlich entlang der gesamten Lieferkette – also vom Rohstoffabbau über Transport und Verhüttung bis zur Entsorgung bzw. erneuten Inwertsetzung – gelten sollte. Und orientiert daran, welche Bereiche das höchste Risiko darstellen, Menschen oder Umwelt negativ zu beeinflussen. Der Rohstoffsektor ist definitiv ein Risikosektor, und unabhängig von der Größe der Unternehmen sollte die unternehmerische Sorgfaltspflicht umgesetzt werden.

Ebenfalls war positiv zu bewerten, dass die EU-Kommission durch eine zivilrechtliche Haftungsregel die Erfolgsaussichten für Zivilklagen von Betroffenen vor Gerichten in EU-Mitgliedstaaten verbessern wollte. Das ist dringend geboten, um den Rechtsschutz von Betroffenen zu verbessern. Da ist das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz mangelhaft. Zudem war eine bessere Einbeziehung von Verteidiger*innen der Menschenrechte und Umwelt vorgesehen. Was im deutschen Gesetz ebenfalls zu wenig berücksichtigt wurde, aber vor allem im Rohstoffsektor eine bedeutende Rolle spielt, ist die Adressierung der Umweltrisiken. Die sollte auf europäischer Ebene ausgeweitet werden, beispielsweise auf den Schutz der biologischen Vielfalt, der Ozonschicht und des Meeres, auf gefährdete Arten, Feuchtgebiete und andere Schutzgüter.

Eine deutliche Schwachstelle im europäischen Kompromiss war beispielsweise, dass er dem notwendigen Handeln in der Klimakrise nicht gerecht wird. Was meine ich damit? Unternehmen müssen zwar Pläne erstellen, wie sie das 1,5-Grad-Ziel einhalten, aber die Behörden prüfen nicht die Umsetzung. Außerdem ist der Finanzsektor nicht mit abgedeckt. Finanzdienstleistungsunternehmen wie Banken oder Investoren spielen auch im Rohstoffsektor eine bedeutende Rolle, da Rohstoffvorhaben sehr kapitalintensiv sind. Deshalb müssen sie in ihren Aktivitäten ebenfalls sicherstellen, dass Menschen, Umwelt und Klima geschützt werden. Ich empfehle hier die Analysen der Initiative Lieferkettengesetz.

Die FDP sabotiert als kleinster Koalitionspartner einen langjährigen politischen Prozess, was gravierende Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in den Verhandlungspartner Deutschland auf EU-Ebene haben wird.

Die Bundesregierung, namentlich FDP-Justizminister Marco Buschmann, hat großen Einfluss auf den vorliegenden Kompromiss genommen. Wie begründet jetzt die FDP, dass sie dem Gesetz dennoch nicht zustimmt, und welche Forderung stellt die Zivilgesellschaft an Bundeskanzler Olaf Scholz?

Erstmal gilt es festzuhalten: Die FDP in Person von Justizminister Buschmann, aber auch Finanzminister Christian Linder, hat innerhalb der Bundesregierung mit verhandelt, debattiert und formuliert. Das heißt, es lag ein Vorschlag auf dem Tisch, an dem die FDP aktiv mitgewirkt hat. So kurz vor Abschluss des Prozesses einzuknicken – und das bereits zum zweiten Mal, ich verweise auf die Debatte um das Ende des Verbrennungsmotors und den Rückzieher von Verkehrsminister Volker Wissing –, kommt einer gezielten Störung gleich. Die FDP sabotiert als kleinster Koalitionspartner einen langjährigen politischen Prozess, was gravierende Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in den Verhandlungspartner Deutschland auf EU-Ebene haben wird.

Noch wichtiger aber ist: Dieses Handeln geht auf Kosten von Menschen und Umwelt – und auch auf Kosten von Unternehmen. Zahlreiche Unternehmen haben sich bereits auf den Weg gemacht, gehen teilweise schon über den formulierten Kompromiss hinaus, und werden durch diese politischen Inkohärenzen vor enorme Herausforderungen gestellt.

Hinzu kommt: Die Ablehnung der Richtlinie sendet ein fatales Signal an die internationale Gemeinschaft – und an diejenigen, die entlang der Lieferkette arbeiten, die vom Bergbau, von den Transportwegen, der Verarbeitung etc. negativ betroffen sind. Offenbar interessieren uns Menschenrechte nur so lange, wie unsere Wirtschaft davon profitieren kann.

Aber ich möchte an dieser Stelle nicht zu sehr verallgemeinern, sondern die konkreten Verursacher*innen benennen: Hier geht es primär um die FDP und den enormen Einfluss der Lobby der großen Wirtschaftsverbände. Und wie begründet die FDP ihren Rückzieher? Mit dem Allzweck-Joker des vermeintlich hohen Bürokratieaufwands. Außerdem behauptet die Partei, dass von der Richtlinie vor allem Kleine und Mittelständische Unternehmen negativ beeinflusst worden wären. Ich verweise diesbezüglich auf die hilfreichen Einordnungen von Merle Groneweg oder Armin Paasch.

Einige Vereine und Verbände verwiesen – ähnlich wie du – auf große Konzerne, die sich für ein Lieferkettengesetz ausgesprochen haben, um der Behauptung, «die Wirtschaft» lehne das Gesetz ab, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Aber birgt das Lieferkettengesetz nicht auch die Gefahr des «Greenwashing» kapitalistischer Profitlogik?

Vor allem für den Rohstoffsektor kann ich sagen, dass Lieferkettengesetze nur ein Instrument von vielen sein können, einen global gerechteren Handel mit Rohstoffen durchzusetzen. Für die Auflösung asymmetrischer globaler Ausbeutungsstrukturen können solche Gesetze nur ein Anfang sein. Denn unseren Überkonsum werden Lieferkettengesetze ebenso wenig antasten, wie die ungerechten Handelsstrukturen. Unsere rohstoffintensive Mobilität, unser rohstoffintensives Wohnen, Konsumieren und Produzieren wären etwas gerechter geworden, weil Unternehmen dann die schwersten Verstöße in ihren Lieferketten aufdecken und eindämmen müssten. Aber wenn klar ist, dass über die Hälfte der – im Rahmen des Critical Raw Materials Act definierten – kritischen Rohstoffe auf oder in der Nähe von Indigenem Land liegen, also den Druck auf die Indigenen Völker weltweit enorm verstärken würden, dann müssen wir auch mehr über die bewegten Güter und materiellen Massen sprechen, die die Lieferketten oder Netzwerke ja letztendlich ausmachen. Das heißt neben wirkungsvollen Sorgfaltspflichtengesetzen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene muss auch unsere Grenzen sprengende Rohstoffnutzung, die durch globale Handelsabkommen abgesichert ist, in Frage gestellt werden.

Wie geht es mit dem Gesetz nach der Abstimmung weiter? Welche Positionen sollten politische Akteure – wie beispielsweise die Linksfraktion im Europaparlament – zum Lieferkettengesetz aus deiner Sicht einnehmen?

Wichtig ist zu betonen, dass das Vorhaben weiterhin noch nicht vom Tisch ist. Im Trilog muss nun weiterverhandelt werden, jedoch ist eine Verabschiedung vor den anstehenden Wahlen unwahrscheinlich. Eine weitere Abschwächung des Kompromisses muss dabei allerdings absolut verhindert werden. Ganz grundsätzlich sollten wir die notwendige Debatte unbedingt weiterführen, die durch die wichtige Arbeit der internationalen Zivilgesellschaft angestoßen wurde. Wie sieht ein global gerechter Handel aus, wie können wir – angelehnt an den Klimaschutz – verbindliche Obergrenzen bei der Ressourcennutzung festlegen und Arbeiter*innen entlang globalisierter Handelsströme schützen? Wie lassen sich im Rahmen der Umgestaltung hin zu einer post-fossilen Welt gute (Arbeits-)Übergänge gewährleisten, wie können wir die Nutzung von Rohstoffen und anderen Gütern demokratisieren und die dringend notwendigen Räume der Regeneration in erschöpften Systemen schaffen? Es sind diese und viele weitere Fragen, für die sich die Linksfraktion im EU-Parlament einsetzen kann.

Das könnte Sie auch interessieren

Video | 05.07.2022International – Solidarisch – Stark: Gewerkschaftliche Arbeit entlang der…

Plenum I und II der internationalen Fachkonferenz